London war bis zur Abstimmung der Briten über einen EU-Austritt der wichtigste Finanzplatz Europas, doch die Zukunft der Finanzmetropole scheint ungewiss. Die ersten großen Investmentbanken bereiten sich darauf vor, Großbritannien zu verlassen. Tausende Jobs würden somit verloren gehen. Profitieren könnte davon ausgerechnet der Finanzplatz Frankfurt.
Ausländische Investmentbanken haben bereits damit begonnen, ihre Aktivitäten von Großbritannien ins europäische Ausland zu verlagern. Für die meisten ihrer Angestellten beginnt nun eine monatelange Hängepartie. Es wird damit gerechnet, dass Tausende von ihnen an andere Finanzmetropolen Europas wie Frankfurt, Paris oder Dublin verlegt werden. Es könnte ein schwerer Schlag für die Finanzindustrie des Landes werden, in der immerhin 2,2 Millionen Menschen beschäftigt sind.
Nach Brexit: Investmentbanken planen Jobabbau
Insbesondere die großen US-Investmentbanken JPMorgan Chase, Goldman Sachs, Bank of America, Citigroup und Morgan Stanley, die im Vorfeld der Abstimmung enorme Lobbyausgaben gegen die Brexit-Kampagne aufgefahren haben, reagierten sofort auf das Abstimmungsergebnis. Die Investmentbanken haben Tausende Mitarbeiter in Großbritannien und unterhalten in London häufig ihr Europa-Hauptquartier. Sie nutzten bis dato die sogenannten „Passport-Rechte“, um von London aus Finanztransaktionen in den anderen 28 EU-Mitgliedsstaaten zu tätigen.
Doch nach dem Brexit verliert die britische Finanzmetropole diesen Wettbewerbsvorsprung gegenüber Frankfurt, Paris und Dublin. Der französische Notenbank-Vorsitzende François Villeroy de Galhau warnte bereits vor der Abstimmung, dass die Banken ihre „Passport-Rechte“ einbüßen würden, sollte Großbritannien die EU verlassen. Die Investmentbanken müssen sich daher ein neues EU-Land als Firmensitz für ihre Europa-Geschäfte suchen. Davon könnte ausgerechnet der deutsche Finanzhandelsplatz Frankfurt profitieren, da viele Großbanken hier ohnehin schon Büros unterhalten und eine Verlegung leicht durchzuführen wäre.
„Einige Mitarbeiter werden schnell verlegt, doch wir passen uns der Geschwindigkeit des schwächsten Gliedes an“, zitiert die Financial Times einen Manager einer US-Investmentbank. „Behördliche Genehmigungen nehmen einige Zeit in Anspruch. Wir sehen uns die neuen Rahmenbedingungen genau an und bringen in Erfahrung, was wir tun müssen, um weiterhin für unsere Kunden tätig sein zu können.“ Die Genehmigungen für Investmentbanken, um in anderen EU-Ländern eine Vollzulassung zu erhalten, können bis zu neun Monate in Anspruch nehmen.
Zukunft der britischen Finanzindustrie bleibt ungewiss
Der Chef von JPMorgan Chase, Jamie Dimon, hatte vor dem Referendum noch angekündigt, dass bis zu 4.000 der insgesamt 16.000 Jobs in Großbritannien auf dem Spiel stünden, sollte Großbritannien die EU verlassen. Doch solange die politische Lage nicht sondiert ist, wird JPMorgan Chase noch keine Mitarbeiter abziehen. „Wir werden noch keine Leute verlegen, bis wir Klarheit darüber haben, was wir von Großbritannien aus machen dürfen und was nicht“, zitiert die FT Daniel Pinto, Chef von JPMorgan in Großbritannien.
Andere ausländische Banken könnten ebenfalls Tausende Mitarbeiter aus Großbritannien abziehen, je nachdem wie die Austrittsverhandlungen mit der EU verlaufen. Die japanische Investmentbank Nomura International beschäftigt 2.600 Mitarbeiter in Großbritannien, die von einer Verlegung betroffen sein könnten. Auch die US-Investmentbank Morgan Stanley denkt über eine Verlegung seiner 2.000 Mitarbeiter nach, wie die BBC berichtet.
Im Vorfeld der Wahl versuchten sogar Investoren-Legende George Soros und Lord Jacob Rothschild die britischen Wähler von einem verbleib in der EU zu überzeugen. Rothschild warnte die Briten davor, dass ein EU-Austritt eine „schädliche und gestörte Situation“ im Land erzeugen würde und sorgte sich um eine geringere Rolle Großbritanniens auf der politischen Weltbühne. Soros, der durch Spekulationen gegen das britische Pfund im Jahr 1992 zum Milliardär wurde, war der Ansicht, die Briten würden die wahren Kosten eines EU-Austritts „massiv unterschätzen“.
Soros prophezeite einen Einbruch des britischen Pfund, und er sollte Recht behalten. Zwar fiel das britische Pfund nicht um die von ihm prognostizierten 15 Prozent zum Dollar, sondern „nur“ um 11 Prozent. Dennoch erreichte die britische Währung damit den tiefsten Stand seit 30 Jahren. Soros selbst diesmal nicht auf einen Verfall der britischen Währung gewettet, wie er in einem Project Syndicate schreibt.
Europas Börsen brechen nach Brexit massiv ein
Auch die weltweiten Börsen sorgte Brexit-Votum für massive Kurseinbrüche. Der deutsche Leitindex Dax stürzte zwischenzeitlich um zehn Prozent ab. Innerhalb kürzester Zeit hat sich am Dax sich so eine Marktkapitalisierung von 95 Milliarden Euro in Luft aufgelöst, schätzen Börsenexperten. Besonders schwer traf der Brexit die Banken. Die Aktie der Deutschen Bank verlor am Freitag zu Handelsbeginn 16 Prozent, die Commerzbank-Aktie fiel sogar um 17 Prozent.
Ähnlich düster sah es an der Londoner Börse aus. Der Leitindex FTSE-100 verzeichnete den größten Kurseinbruch seit der Finanzkrise 2008. Die Aktien der britischen Großbanken Barclays, Royal Bank of Scotland und Lloyds fielen zwischenzeitlich um mehr als 30 Prozent ins Bodenlose. Der rapide Kursverfall zwang die britische Notenbank, die Bank of England (BoE), zur öffentlichen Ankündigung, die Finanzmärkte notfalls mit Geldspritzen zu stabilisieren.
Die Zentralbank stehe bereit, um ein Funktionieren der Märkte zu garantieren, sagte BoE-Chef Mark Carney. Die Notenbank habe zurzeit 250 Milliarden Pfund für diesen Zweck zur Verfügung und könne notfalls noch größere Summen in Fremdwährungen bereitstellen. Dennoch geriet die britische Währung am Montag erneut unter Druck. Das Pfund verlor gegenüber dem Dollar mehr als zwei Prozent und wurde mit 1,3355 Dollar gehandelt.