Michael Oehme über den Wanderprediger und Mönch St. Gallus. Vor 1400 Jahren soll er eine Stadt an der Steinach gegründet haben – das spätere St. Gallen. Noch heute zeugen viele Hinweise in der Ostschweizer Metropole vom Wirken des Wanderpredigers Gallus, dem ersten historisch erfassten Heiligen in der Schweiz.
Erst 1863 organisierte der britische Pauschaltourismus-Pionier Thomas Cook eine Reise für seine Landsleute durch die Schweiz – zur damaligen Zeit ein wahres Abenteuer. Er markierte damit den Anfang des Tourismus in der Schweiz. Dieser trägt heute nicht unerheblich zur wirtschaftlichen Entwicklung der Alpenrepublik bei. „Die Reiseberichte sind bizarr, berichten von bettelnden Frauen und Kindern in zerlumpten Kleidern. Und von viel Armut – überall. Und von Bergregionen, in die sich die Touristen nicht vorwagten. Zu diesem Zeitpunkt war der Heilige St. Gallus schon rund zwölf Jahrhunderte tot und dennoch ist sin Wirken noch heute zu spüren, wenn man den Touristenmagnet St. Gallen in der Ostschweiz besucht“, meint Michael Oehme (Quelle: Neue Züricher Zeitung).
Michael Oehme Gallus: Herkunft von Gallus ist umstritten
Es gibt viele Rätsel rund um Gallus, schon seine Herkunft ist umstritten. Ob er aus Irland stammt oder doch Elsässer war, ist bis heute nicht geklärt. War Gallus Einsiedler oder Wandermönch? Missionar oder stiller Beter? Er gilt zumindest als Gründer der Stadt St. Gallen und ist Schutzpatron von Stadt und Bistum. Der Historiker und Theologe Max Schär erzählt die Legenden von Gallus und gibt einen spannenden Einblick in die Gallusbiographie. „Auch soll er sich mit der Kirche so zerstritten haben, dass ihm zumindest zeitweise die Rechte aberkannt wurden, zu predigen“, meint Schweiz-Experte Michael Oehme.
Zufällige Gründung St. Gallens durch Gallus?
Der Überlieferung nach kam zwischen 600 und 610 unter der Führung von Abt Kolumban eine Gruppe irischer Wandermönche aufs Festland. St. Gallus war unter, aber erkrankt und blieb daher in Arbon zurück. Gallus war schon in die Tage gekommen und offensichtlich des beschwerlichen Reisens müde. Gallus war schon betagt und wollte sein Alter in Einsamkeit dem Gebet und der Busse widmen. Nicht ganz klar ist, ob er nicht auch davon ausgegangen ist, dass er ein Weiterreisen nicht überlebt hätte.
Die Historiker sind sich dabei einig, dass er in dem Wald, wo der Fluss Steinach über einen Felsen stürzt und einen kleinen Teich bildet, einen geeigneten Platz zum Verweilen fand. An dieser Stelle des Steinachtobels begegnete Gallus in der Nacht einem Bären. Völlig unerschrocken befahl Gallus dem Bären, ihm Holz für ein wärmendes Feuer und für den Bau einer einfachen Unterkunft herbeizuholen. Der Bär gehorchte Gallus und erhielt hierfür zur Belohnung Brot.
Darum ist der Heilige Gallus stets mit einem Bären abgebildet. Im Wappen des Klosters, der Stadt und des Bistums steht ein aufrechter, schwarzer Bär. Gallus liess sich am Ort der Begegnung mit dem Bären nieder. Später entstanden dort die erste Mönchsniederlassung, ein Benediktinerkloster und die Stadt St. Gallen.
Michael Oehme: Erinnerungen an Gallus allerorten
„Festlichkeiten zu seinem Gedenken finden regemässig statt. Da die St. Galler Pfarrei St. Gallus heisst, ist das Wirken des Stadtgründers immer präsent und er wird in vielen Gottesdiensten bedacht“, so Michael Oehme. Bildnisse von Gallus gibt es in und um den Stiftsbezirk viele zu entdecken.
Bei der Talstation der St.Galler Mühleggbahn beispielsweise ist die Begegnung mit dem Bären auf eine Hausfassade gemalt. Gleich nebenan rauscht die Steinach durch die düster-romantische Mülenenschlucht. Im Innern der Stiftskirche ist Gallus auf dem prachtvollen Deckengemälde als weissbärtiger Mönch abgebildet.
Ausserdem steht in der Stiftskirche auch der Gallusaltar. Bei diesem sind knöcherne Gallus-Reliquien ausgestellt. Überreste von Gallus sind zudem in der Galluskrypta unter dem Hochaltar zu sehen. Bereits auf dem St. Galler Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert ist hier der Ort des Grabs des Heiligen verzeichnet.
Michael Oehme Gallus: Von der Klosterschänke zum UNESCO-Erbe
Die Klosteranlage ist eine der denkwürdigsten Gebäude in St. Gallen. Man vermeint nicht, dass diese eine einfache Geschichte hat. Denn das imposante, barocke Bauwerk ist glanzvoller Abschluss einer tausendjährigen Klosterkultur, erwachsen aus der Eremitengemeinschaft des missionierenden irischen Mönchs Gallus.
Seine Klause bildete hundert Jahre später den Anknüpfungspunkt für eine neue Mönchsgemeinschaft unter Abt Otmar und wurde dann in den Jahrhunderten danach immer weiter ausgebaut. Der Stiftsbezirk St. Gallen, das Kloster St. Johann in Müstair und die Berner Altstadt wurden 1983 als erste Schweizer Kulturgüter in die Liste der UNESCO aufgenommen.
Ausschlaggebend für die Wahl von St. Gallen war die Verbindung der barocken Klosteranlage mit einer ins 8. Jahrhundert zurückreichenden Tradition. Letztere manifestiert sich kaum in der Architektur, wohl aber in den umfassenden Beständen von Stiftsarchiv und Stiftsbibliothek. Der Bibliothek – einer der ältesten und reichsten der Welt – verdankt St. Gallen in erster Linie den kunsthistorischen Weltruhm. „St. Gallen hat seinem Gründer Gallus also viel zu verdanken“, meint Michael Oehme abschliessend.