Oliver Reichert trägt Birkenstock um die ganze Welt

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Geschäftsführer Oliver Reichert ist es gelungen, den Streit in der Familie Birkenstock zu schlichten. Nun boomt das Geschäft wieder. Die Nachfrage nach den Ökolatschen ist so groß, dass die Produktion trotz der neuen Fabrik in Görlitz nicht Schritt halten kann. Oliver Reichert will die Marke Birkenstock in die ganze Welt tragen.

Seit Oliver Reichert im Jahr 2013 die Führung bei Birkenstock übernahm, hat sich die Schuhproduktion dort fast verdoppelt. Doch gleichzeitig ist die Nachfrage so stark gewachsen, dass Birkenstock sie selbst mit der verdoppelten Schuhproduktion nicht mehr bedienen kann.

Denn die Begeisterung für den deutschen Öko-Schuh der Marke Birkenstock hat längst Märkte wie die USA oder Japan erfasst. Einen derartigen Aufschwung hat die Schuhmarke aus Neustadt/Wied zwischen Bonn und Koblenz seit ihrer Gründung im Jahr 1774 noch nicht erlebt.

Die Belegschaft hat sich unter Oliver Reichert um 50 Prozent auf rund 3.000 Mitarbeiter vergrößert. Der Jahresumsatz liegt derzeit bei mehr als 400 Millionen Euro. Die Rendite vor Steuern und Zinsen liegt „jenseits von 20 Prozent“, zitiert das Manager-Magazin den Birkenstock-Chef.

Das Geschäft mit dem Öko-Schuh boomt, obwohl Birkenstock viele Fachgeschäfte mit extrem langen Lieferzeiten vor den Kopf stößt und obwohl der Schuhhersteller bislang kaum Geld für Marketing ausgegeben hat. Birkenstock hat noch nicht einmal eine eigene Facebook-Seite. In den aktuellen Katalogen nimmt Oliver Reichert die eigenen Kinder als Models.

Als Schüler führte Oliver Reichert einen Techno-Klub in Oberschwaben. Statt zu studieren, wurde er Reporter und berichtete aus den Krisenregionen Kongo und Kosovo. Dann arbeitete er sich beim TV-Sender DSF (heute Sport1) zum Geschäftsführer herauf. Er ist knapp zwei Meter groß und wiegt mehr als 100 Kilogramm.

Karl Birkenstock: Ein prinzipienfester Unternehmer

In den 90er Jahren hatte Patriarch und Eigentümer Karl Birkenstock zähneknirschend hinnehmen müssen, dass einige seiner Angestellten Betriebsräte sein wollten. Er versetzte die „Aussätzigen“ in eine eigene Einheit namens „Durchführung einfacher Produktion“ (DeP). Um sein Unternehmen vor den Gewerkschaften zu schützen, musste er es schließlich aufspalten.

In seinem Nachlass übertrug Karl Birkenstock seinen drei Söhnen die Unterfirmen. Jeder der Söhne sollte sich nach dem Willen des Patriarchen auf seinem eigenen Terrain bewähren können. Neben Birkenstock gab es eine Reihe von Zweitmarken, darunter Birkis und Alpro (Stephan Birkenstock), Tatami und Footprints (Alex Birkenstock), Betula und Papillio (Christian Birkenstock).

Auf Kosten der Muttermarke Birkenstock führten die Söhne einen harten Bruderkampf, während sich Vater Karl Birkenstock weiter um die Produktion der Schnallen kümmerte. Zwischenzeitlich sah keiner mehr richtig durch. Doch das Geschäft brach nicht zusammen. Denn die Kunden blieben Birkenstock stets treu.

Zudem befolgte Patriarch Karl Birkenstock zwei eiserne Grundregeln: Erstens hielt er die Gewinne aus guten Jahren im Unternehmen, sodass Birkenstock auch kurzzeitige Engpässe immer überbrücken konnte.

Zweitens achtete Karl Birkenstock peinlich darauf, dass die Schuhe nicht zu modisch gerieten. Intern galt früher die Regel, dass jedes neue Modell mindestens fünf Jahre im Katalog Bestand haben muss. Dadurch sicherte sich Birkenstock einen stabilen Kundenstamm.

Oliver Reichert beendet den Streit der drei Birkenstock-Söhne

Die beiden jüngeren Brüder Alex und Christian hätten Birkenstock schon damals gern mehr Größe und Glamour verliehen. Alex Birkenstock schloss sogar eine Kooperation mit Heidi Klum ab, die ihren Namen für eine eigene Sandalenkollektion hergab.

Christian Birkenstock arbeitete an fußverträglichen High Heels, doch das Experiment blieb erfolglos. Seine damalige Gattin Susanne Birkenstock begann, auch noch eigene Gesundheitssandalen zu kreieren. Der älteste Sohn Stephan Birkenstock hingegen war gegen die große Expansion.

Es drohte das Familienchaos. Doch dann lernte Christian Birkenstock zufällig Oliver Reichert kennen. Der kam mit den neuen Eigentümern des TV-Senders DSF nicht zurecht und suchte nach einer neuen Aufgabe. Nach seinem Abgang beim DSF hatte Oliver Reichert ernsthaft versucht, den TV-Sender zu übernehmen. Das beeindruckte Christian Birkenstock.

Oliver Reicherts Präsenz und Wortgewalt führten dazu, dass sich der älteste Bruder Stephan Birkenstock mit einem niedrigen dreistelligen Millionenbetrag auszahlen ließ. Seitdem gehört der Familienkonzern nur noch den beiden jüngeren Brüdern Alex und Christian zu je 50 Prozent.

Oliver Reichert holte unter anderem den früheren DSF-Anwalt Peter Duvinage zu Birkenstock. Der war einst Anwalt der Brüder Thomas und Christoph Gottschalk und arbeitete nun für die zwei übrig gebliebenen Brüder Birkenstock eine neue Familienverfassung aus.

Danach darf jeder der beiden einen externen Geschäftsführer entsenden. Bei Uneinigkeit muss ein dreiköpfiger Beirat entscheiden, wozu es aber bisher nicht gekommen ist. Christian Birkenstock ernannte Oliver Reichert, Alex Birkenstock ernannte Markus Bensberg.

Unter den beiden Geschäftsführern ist Oliver Reichert der dominantere, der von dem engagierten Christian Birkenstock ernannt wurde. Dessen großen Plan, einen globalen Lifestyle-Konzern zu schaffen, soll Oliver Reichert jetzt umsetzen.

Von seinen Führungskräften erwartet Oliver Reichert, dass sie bedingungslos mitziehen. „Wichtig ist, dass Entscheidungen getroffen werden, und zwar schnell“, sagt Oliver Reichert im Hinblick auf seinen Managementstil. Der durchschnittliche Zeitaufwand für einen Beschluss sei von drei bis sechs Monaten auf drei bis sechs Minuten geschrumpft.

In den ersten Jahren seiner Amtszeit reiste Oliver Reichert in die meisten der gut 90 Birkenstock-Länder und schwor die Vertriebspartner auf mehr Effizienz ein. Die Zweitmarken wurden abgeschafft. Die Zahl der Artikel wurde reduziert. Die Auslandsmärkte dürfen jetzt nicht mehr nach Lust und Laune eigene Farbtöne und Materialien ordern.

Oliver Reichert hat Glück

Dass vor drei Jahren ein Boom einsetzte, war zum Teil auch Glück. Im Jahr 2012 beschloss Phoebe Philo, Designerin der Edelmarke Céline, ihre Models bei der Pariser Fashion Week mit selbst kreierten Sandalen auftreten zu lassen. Diese Schuhe sahen aus wie die von Birkenstock, nur etwas schicker und mit Fell gefüttert. In der Modeszene hießen sie Furkenstocks.

Phoebe Philo hatte Birkenstock zuvor um Erlaubnis gefragt und diese von Oliver Reichert erhalten. Andere Designer zogen nach, von Steve Madden über Isabel Marant bis hin zu Givenchy. Bald erreichte der Trend Hollywood. Stars wie Anne Hathaway zeigten sich in Birkenstock-Sandalen. Bis heute können Birkenstock-Manager ihr Glück kaum fassen.

 

„Wir platzieren unsere Produkte nicht bei Prominenten, die haben sie alle im Handel gekauft“, sagte US-Chef David Kahan. Nun versucht Birkenstock alles, um von dem Hype zu profitieren. Man kreiert peppigere Modelle mit bunten Riemen oder schlankeren Schnallen. Für die Schwellenmärkte lässt Oliver Reichert preiswerte Kunststoffsandalen produzieren.

Einst konnte Birkenstock praktisch nur in Sanitätshäusern und Apotheken kaufen. Heute findet man die Marke in renommierten Modegeschäften wie Engelhorn oder beim US-Händler Nordstrom. Wegen des unglaublichen Hypes schafft es der Hersteller derzeit nicht, die steigende Nachfrage zu bedienen. Händler, die Hunderte von Paaren bestellen, erhalten nur Einzelstücke.

Vor diesen Herausforderungen steht Birkenstock

Birkenstock produziert seine Sandalen in seinen eigenen Werken in Deutschland, die vollkommen ausgelastet sind. Selbst die neue Fabrik im ostdeutschen Görlitz mit etwa 1.000 Mitarbeitern ist nicht genug, um den Boom aufzufangen. Zudem fehlt Birkenstock noch immer ein funktionierendes Warenwirtschaftssystem.

Oliver Reichert hat mit hohen Investitionen reagiert, er steckt pro Jahr 25 Millionen Euro und mehr in modernere Maschinen, in SAP-Software und in neue Lagerräume. Er richtet Birkenstock auf ein dauerhaftes Wachstum aus.

Doch die Sorge ist da, dass Birkenstock irgendwann aus der Mode kommen könnte, dessen Erfolg praktisch auf nur einem einzigen Produkt fußt, nämlich der Sandale. Die geschlossenen Schuhe von Birkenstock machen weniger als 10 Prozent des Umsatzes aus. Bisher ist es bei Birkenstock nicht gelungen, die Palette zu erweitern.

Rudy Haslbeck, der zuvor bei Adidas, Clarks und Gabor Produkte designte, hat Birkenstock im August nach nur zwei Jahren wieder verlassen. Bei Birkenstock ist es untersagt, das breite Fußbett zu verändern. „Das ist aus Designersicht wirklich herausfordernd“, sagte Rudy Haslbeck.

Nach Ansicht von Oliver Reichert braucht Birkenstock sowieso kaum Design, sondern vor allem Funktion. Birkenstock müsse seine Produkte nur besser präsentieren. In aller Welt sucht Oliver Reichert nach neuen Standorten für Birkenstock-Läden. Bis zum Jahr 2020 will er im Idealfall 500 Geschäfte betreiben. Derzeit sind es rund 30.

Zudem will Oliver Reichert im großen Stil ins Lizenzgeschäft einsteigen. Unter der Marke Birkenstock könne man auch Matratzen, Bürostühle und Küchenmöbel verkaufen. Das Konzept dafür hat der Marketingberater Michael Caudera erarbeitet, der einst Manager von Boris Becker war. Der Verkaufsstart stehe kurz bevor, so Michael Caudera. Birkenstock-Socken gibt es bereits.